Best Practice – kein Maßanzug, aber ein Anzug nach Maß
Die Dienstleistungsbeschaffung ist eine Spezialdisziplin im Einkauf. Bei vielen Unternehmen steht sie erst dann auf der Tagesordnung, wenn allgemeine Beschaffungsthemen versorgt sind und die Dienstleistungsbeschaffung als strategisch wichtig eingestuft wird. Häufig geht es dann darum, vorhandene IT-Lösungen zu ersetzen, weil sie auf alten Technologien aufbauen oder nicht über die notwendigen Schnittstellen verfügen, um Prozesse durchgängig abzubilden und damit zu digitalisieren. Oder: Die Wartung des E-Tools läuft aus und das Know-how schwindet. Soll eine neue Lösung eingeführt werden stellt sich nicht nur die Frage, welche Lösung die „richtige“ ist, sondern auch welcher Weg zur Lösungsfindung eingeschlagen werden soll.
- Über Best Practice den Weg abkürzen
- Keine Lastenhefte am grünen Tisch
- Denken in Prozessen ist gefordert
- Best Practice als Systematik
Über Best Practice den Weg abkürzen
Best Practice im Digitalisierungsprojekt bedeutet keinen Maßanzug, aber einen Anzug nach Maß – ein kleiner, aber entscheidender Unterschied in Kosten und auch Zeit. Das heißt: Möchten Sie sich eine kundenindividuelle Lösung bauen lassen oder suchen Sie nach einem Standard, der angepasst wird? Vieles spricht dafür, dass die Zeiten kundenindividueller Lösungen vorbei sind. Zeit und Kosten sind nur zwei Aspekte, hinzukommt, dass die Flexibilität der auf Standards basierenden E-Lösungen, die nach Bedarf skaliert oder über Add-ons erweitert werden, viel größer geworden ist – angetrieben von den technologischen Möglichkeiten der Cloud-Technologie.
Der anstehende Generationswechsel vom SAP ERP-System zu S/4HANA ist ein gutes Beispiel dafür. Am häufigsten verbinden Unternehmen mit einer Einführung von S/4HANA die Möglichkeit der „Neustrukturierung und Neubewertung von IT-Landschaft und Schnittstellen“, so die Studienergebnisse des HHL-Arbeitspapier „SAP S/4HANA. Status quo und Zukunftsperspektiven einer neuen ERP Business Suite“ vom September 2018. Mit gleicher Häufigkeit folgen interessanterweise „Technische Innovationen wie Geschwindigkeit“ oder „Real-time Analytics“ sowie die „Chance zur Neustrukturierung der Geschäftsprozesse“, die eigentlich ja auch Grundlage für die Digitalisierung sind.
Die Chance wird also zunehmend wahrgenommen, gewachsene Strukturen mit zusätzlichen individuellen Lösungen und damit einhergehend geschaffenen Schnittstellen-Wildwuchs zwischen den Systemen von schlankeren Strukturen und Abläufen abzulösen. Auch in der S/4HANA-Strategie spielt der Best-Practice-Gedanke im Rahmen der Simplifizierung eine wichtige Rolle: verschiedene sogenannte Best-Practices-Packages halten bereits vorkonfigurierten Business-Content mit Branchen- und Unternehmensprozesse im Standard vor.
Die Voraussetzungen dafür zu schaffen, wird für viele Unternehmen die Herausforderung sein. Als Faustformel gilt: Je größer der Abstand zum Standard aufgrund von Eigenentwicklungen und Anpassungen, desto höher ist vermutlich der Umstellungsaufwand. Und das ganz ungeachtet des letztlich gewählten Migrationspfades, ob Greenfield (Neuimplementierung) oder Brownfield (Systemkonversion).
Keine Lastenhefte am grünen Tisch
Dem klassischen Dilemma zu entgehen, entweder Technologien anhand der vorhandenen Geschäftsprozesse auswählen (IT follows structure) oder die Prozesse anhand der Anforderungen der E-Lösung ausrichten (Structure follows IT) ist in der Praxis nicht leicht.
Bei Ausschreibungen zu Einkaufslösungen treffen wir oft auf Lastenhefte, die alten Wein in neuen Schläuchen beschreiben und bei den abzubildenden Anforderungen innovative Möglichkeiten nicht berücksichtigen. Eine vorgefasste Lösungsidee steht im Mittelpunkt und damit einhergehend meist noch umfassende Anforderungskataloge, die stichpunktartig – losgelöst von einem Gesamtkonzept – Funktionen abfragen und diese nicht in der Wertigkeit dem Gesamtkonzept unterordnen (eierlegende Wollmilchsau).
Ebenso oft sind diese Lastenhefte mit sehr viel Aufwand und Unterstützung von Beratern entstanden, die eher am „grünen Tisch“ Konzepte entwickeln, die auf Individuallösungen hinauslaufen. Gerade bei der Dienstleistungsbeschaffung begegnet uns diese Situation sehr oft, dass bei aller Planung im Lastenheft die Möglichkeiten von SAP nur wenig betrachtet und Lösungen als Schattensysteme oder Insellösungen neben SAP beschrieben werden.
Nach unserer Erfahrung wird zu einem hohen Prozentsatz heute überhaupt nicht mit Dienstleistungen und dem Positionstyp „D“ in SAP gearbeitet. Der Grund ist darin zu suchen, dass das Arbeiten mit SAP an dieser Stelle zu unbequem und aufwendig ist. Dabei wissen viele gar nicht, dass sich Dienstleistungen und auch die mehrstufigen Leistungsverzeichnisse sehr wohl im SAP-System abbilden lassen. Insofern gilt es auch am „grünen Tisch“ das SAP-System im Zuge eines Digitalisierungsprojekts im Bereich der Dienstleistungsbeschaffung einzubeziehen, wenn SAP als der „Digitale Kern“ gesehen wird und demzufolge an SAP nichts mehr vorbeigehen soll.
Denken in Prozessen ist gefordert
- Formulieren Sie genau Ihre Schwächen
Stellen Sie neben dem Lenkungskreis ein Projektteam aus den betroffenen Bereichen zusammen. Analysieren Sie den Ist-Zustand: Beschreiben Sie vorhandene Abläufe sowie IT-Systeme sowie beteiligte Organisationseinheiten. Heben Sie dabei aus Ihrer Sicht die Schwachstellen hervor. Dies ist sehr wichtig, denn die Schwachstellenanalyse wird Ihre Projektziele untermauern und den Lösungsansatz vorgeben. - Halten Sie sich an die Projektziele
Das Wichtigste bei einem Projekt – und der Komplexität wegen insbesondere bei einem Digitalisierungsprojekt – sind die Projektziele. Stimmen Sie diese Ziele mit dem Betroffenenkreis ab. Nehmen Sie sich Zeit zu diskutieren, welche Erwartungen von wem an eine neue Lösung gestellt werden und gleichen Sie diese mit den gesteckten Zielen ab. Selbstverständlich können Projektziele immer wieder angepasst und geändert werden, wenn es sinnvoll erscheint. Hinterfragen Sie sich dabei stets, ob die Ziele damit auch an jeder Stelle erreicht werden. - Bleiben Sie abstrakt
Informieren Sie sich im Umfeld der eigenen Branche und halten Sie nach Best Practices Ausschau. Es mag banal klingen, aber die Herausforderung ist es, dabei abstrakt zu bleiben und nicht in voreingenommenen Bildern zu denken. Wichtig ist, das Projekt in einem gewissen Abstraktionsgrad zu planen und sich nur auf die Anforderungen zu konzentrieren und nicht – z. B. in Form von eigenen Lösungsskizzen mit Oberflächenabbildungen – auf den Weg dahin. Formulieren Sie nach Möglichkeit die einzelnen Anwendungsfälle. Beschreiben Sie nicht Ihre Wunschlösung, sondern das Ziel, das Sie damit verfolgen und was Ihnen dabei wichtig ist.
Best Practice als Systematik
Für uns gilt der Best-Practice-Ansatz in zweierlei Hinsicht: Nicht nur bei der Entwicklung unserer Lösungen und ihrer letztlichen IT-technischen Implementierung, sondern bereits in unserem Beratungsansatz, mit dem wir unsere Kunden bereits im Entscheidungsprozess begleiten und unterstützen. Denn in unseren Projekten haben wir die Erfahrung gemacht, dass insbesondere in der sehr frühen Phase wichtige Weichen für das Digitalisierungsprojekt gestellt werden. Wir sind darauf spezialisiert, mit unserem Branchen-Know-how und langjähriger Praxiserfahrung Prozesse zur Anforderungsdefinition zu begleiten – damit der Anzug perfekt passt und Sie im Sinne von „Best Practice“ eine sehr wirtschaftliche Lösung erhalten.
Architekt, Gründer und Geschäftsführer von Futura Solutions. Konsequent prozessorientiert und praxisbezogen: Im Blog beleuchte ich schwerpunktmäßig Entwicklungen und Einkaufsthemen aus der SAP-Einkaufswelt.